Zu „Ursprung, Herkunft, Regionalität, Rückverfolgbarkeit“

Branchen

Welche Strategien verfolgt der Handel zu Herkunft, Regionalität und Rückverfolgbarkeit?

Eine Studie der Universitätsprofessorin Dr. Maria Madlberger (Webster Vienna Private University) im Auftrag von GS1 Austria liefert spannende Einblicke.

Ziel der Studie war es, Positionen und Strategien des Handels hinsichtlich Rückverfolgbarkeit, Herkunft und Regionalität der Sortimente sowie die damit verbundenen Datenflüsse aufzuzeigen – Themen, die durch die globalen Entwicklungen bei Konsumenten und Unternehmen an Wichtigkeit gewinnen.

Eckdaten zur Studie

Anzahl der Unternehmen 8
Anzahl der Interviewpartner bzw. mitwirkenden Personen 11
Durchschnittliche Interviewdauer in Stunden 2

 

Die Erhebung wurde in Form persönlicher Interviews mit Ansprechpartnern in leitenden Funktionen aus den Bereichen Einkaufs-, Sortiments-, Vertriebs- oder Qualitätsmanagement in acht Unternehmen durchgeführt:
Hofer, Kastner, Kiennast, Metro, Lidl, Rewe, Spar und Unimarkt.

Fragestellungen

1. Verständnis der Begriffe Herkunft, Regionalität & Rückverfolgbarkeit 

Die Handelsunternehmen bestätigten, dass Herkunft von Lebensmitteln zu einem relevanten Kaufargument der Konsumenten wurde. Das gilt im Lebensmittelhandel, jedoch, in abgeschwächter Form, auch in der Gastronomie. 

Das Verständnis des Begriffs Herkunft und damit verbundene Inhalte sind in der Branche einheitlich: 

  • Herkunftsangaben müssen als lückenlose Informationskette belastbar sein, etwa durch Herkunftsauslobung auf der Verpackung oder elektronische Dokumentation.

  • Regionalität ist eine spezifische Form der Herkunftsangabe. 

  • Rückverfolgbarkeit wird als Kennzeichnungssystem verstanden, das die Herkunft des Produktes/der Charge vom Vorlieferanten benennt.

  • Unternehmen unterscheiden bei verarbeiteten Produkten zwischen Herkunft und Ursprung. Mehrheitlich ist „Ursprung“ das Land, aus dem das Produkt bzw. die Zutaten stammen und „Herkunft“ das Land oder die Region, wo das Produkt hergestellt wurde.

Ist Herkunft ein Qualitätskriterium?

Einige Handelsunternehmen sehen im Zusammenhang mit regionaler Herkunft ein Qualitätsversprechen bzw. nachhaltige Produktionsweisen (z.B. Bio-Produkte). Aber: Herkunft per se beinhaltet keine Qualitätsbotschaft und ist ein neutraler Begriff.

"Die Herkunft an sich ist für mich kein Wert.
Es ist egal, ob das Schwein rechts oder links vom Inn kommt."

Österreichische Herkunft allein garantiert keine besseren Produkte oder Produktqualität. Dies steht jedoch nicht im Widerspruch zu einer klaren Herkunftsstrategie mit Fokus auf Regionalität und Lokalität.

2. Strategie, Umsetzung und Einflussfaktoren

Das Angebot österreichischer bzw. regionaler Produkte ist ein wichtiger Pfeiler der Sortiments- und Verkaufsstrategie. Damit wird einerseits der Konsumentenpräferenz und andererseits der sozialen und ökologischen Verantwortung Rechnung getragen.

Strategischer Stellenwert

Herkunft und Regionalität haben einen höheren Stellenwert als Rückverfolgbarkeit.

Letztere dient primär zur Einhaltung gesetzlicher Vorgaben und Qualitätssicherung. Rückverfolgbarkeit spielt unter anderem zur Erfüllung gesetzlicher Bestimmungen eine große Rolle, wird aber nicht zum Kunden kommuniziert. In Zukunft soll die strategische Bedeutung jedoch steigen.

Die Herkunft aus Österreich und Regionalität haben hohe Priorität. In den Sortimentsbereichen werden bei Auswahlmöglichkeit österreichische bzw. regionale Produkte vorgezogen.

Einflussfaktoren auf Strategie und Umsetzung

 

Konsumentennachfrage 

Dieser Faktor findet die breiteste Zustimmung als zentraler Gesichtspunkt für die Herkunftsstrategie. Hauptgrund ist die klare Präferenz der Konsumenten für regionale bzw. österreichische Produkte. 
Manche Unternehmen verfolgen diese Strategie deshalb, sind aber nicht davon überzeugt, dass österreichische Produkte immer qualitativ überlegen sind.

Ökologische Nachhaltigkeit (Klimawandel, Bio-Qualität etc.) 

Dieser Faktor wird von fast allen Handelsunternehmen als wichtiger Einfluss auf die Strategie zu den Herkunftsangaben gesehen.

Corporate Social Responsibility (CSR)

Die CSR wird von den meisten Unternehmen im Sinne der Inlandswertschöpfung gesehen. 
Der Großhandel wiederum legt Augenmerk auf die Einhaltung sozialer Standards. Daher ist der Herkunftsnachweis wichtig, um entsprechende Lieferanten auszuschließen. Die Unternehmen erwarten, dass die Anforderungen durch das Lieferkettengesetz zunehmen werden.

Gesetzliche Auflagen

Aktuelle oder erwartete künftige gesetzliche Auflagen spielen kaum eine Rolle, da für die Strategie andere Faktoren ausschlaggebend sind. Gesetzliche Rahmenbedingungen sind ein wesentlicher Faktor für die Rückverfolgbarkeit, weniger für Herkunft.

Rolle der Eigenmarken

Alle befragten Unternehmen haben in ihren Sortimenten Eigenmarken, deren Anteil je nach Betriebstyp zwischen ca. 10 Prozent und bis zu über 80 Prozent liegt. Eigenmarken werden überwiegend nicht selbst produziert, sondern von Herstellerbetrieben. Dennoch geht die Verantwortlichkeit der Handelsunternehmen bei Eigenmarken sehr viel weiter als bei Herstellermarken. 

Eigen- vs. Handelsmarken

Mit einer Ausnahme geben sämtliche befragte Handelsunternehmen an, dass ihre Strategie bei Eigenmarken anders als bei Herstellermarken ist. Bei den Herstellermarken herrscht die überwiegende Ansicht, dass die Marke aus Konsumentensicht das wichtigste Produktmerkmal ist und die Herkunft eine geringere Rolle spielt.

3. Konsumentenverhalten hinsichtlich Herkunft, Regionalität & Rückverfolgbarkeit

Der Handel verfügt durch die direkte Interaktion mit den Konsumenten sowie durch detaillierte POS-Abverkaufsdaten über tiefe Einblicke in das Konsumentenverhalten. 
Grundsätzlich stimmen die Handelsunternehmen überein, dass den Konsumenten die Produktherkunft sehr wichtig ist und regionale Produkte positiv bewertet werden.

Bedeutung von Herkunftsangaben für Konsumenten

Im Gegensatz zur Regionalität ist Herkunft weniger gut vermarktbar und Rückverfolgbarkeit nicht marketingrelevant, da die Konsumenten bei der Präferenz für Herkunftsangaben inkonsistent sind. 
Vor allem bei verarbeiteten Produkten ist die Kosten-Nutzen-Relation von Herkunftsangaben ungünstig, unter anderem aufgrund der Komplexität der Lieferketten oder abnehmender Attraktivität des Produktes bei Bekanntwerden der beteiligten Regionen.

Zahlungsbereitschaft für regionale Produkte

Die Bereitschaft der Konsumenten, für regionale Produkte mehr zu bezahlen, wird von den befragten Handelsunternehmen bestätigt, ist allerdings schwer zu quantifizieren. 

Konsumentenverhalten nach Warengruppen

Grundsätzlich unterscheidet sich das Konsumentenverhalten sehr deutlich in den Warengruppen. Bei wenig verarbeiteten Produkten und Frischwaren sind Herkunft und Regionalität wesentlich wichtiger als bei stärker verarbeiteten Produkten. (siehe Konsumentenumfrage)

4. Kooperation in der Supply Chain und Datenaustausch

Ein glaubwürdiger und belastbarer Herkunftsnachweis setzt voraus, dass die Produktherkunft lückenlos dokumentiert und geteilt wird. 

Datenaustausch von Herkunftsdaten

Grundsätzlich bestehen zwei Möglichkeiten, Herkunftsdaten zu verwalten:

  • Anbringung am verpackten Produkt

  • Austausch von Herkunftsdaten über eine Datenbank

Einerseits können sie am verpackten Produkt angebracht werden. Dies wird von einigen Handelsunternehmen als primärer Herkunftsnachweis genutzt.

Die andere Möglichkeit ist der separate Austausch von Herkunftsdaten, gespeichert in einer Datenbank. Manchmal ist ein separater Datenfluss notwendig, wenn das Produkt größeren Veränderungen unterworfen ist (z.B. Produktion von Fertigprodukten mit verschiedenen Zutaten) oder Prozesse stattfinden, in denen der Informationsfluss vom Warenfluss entkoppelt ist (z.B. Webshop, Flugblatt, Abrufen von Herkunft am Smartphone über Kunden-App). 

Stammdatenverwaltung mit GS1 Standards 

Generell lässt sich sagen: Herkunftsangaben und damit verbundene Attribute sind typische Stammdaten. Der in der Branche durch die Lebensmittelinformationsverordnung (LMIV)  ausgelöste intensivierte elektronische Stammdatenaustausch hat die Nutzung der GS1 Standards gestärkt.

Im Großhandel ist der Datenaustausch komplexer, weil die Artikelanzahl wesentlich größer und die gesetzlichen Bestimmungen strenger sind. Die Bereitstellung von Herkunftsdaten direkt am Produkt ist hier nicht möglich. Sie muss mittels separater elektronischer Daten erfolgen.

Elektronische Rückverfolgbarkeit

Der Nutzen in der Rückverfolgbarkeit liegt neben der Beweisführung darin, dass der Handel im Rückholungsfall auf seine eigenen Chargeninformationen zurückgreifen und damit unmittelbar reagieren kann.

Der Aufwand einer chargengenauen Rückverfolgbarkeit zur Beweisführung der Herkunft ist sehr groß und meist aus wirtschaftlichen Gründen nicht vorteilhaft. Ein Interviewpartner meinte, der „Leidensdruck“ für eine Umsetzung GS1 standardbasierter Rückverfolgbarkeit sei derzeit noch zu gering, das könne sich jedoch in Zukunft ändern. 

Portallösungen zum Austausch von Herkunftsdaten

Generell werden GS1 Standards bevorzugt und begrüßt. Die Handelsunternehmen nutzen diese jedoch in unterschiedlicher Art und Weise, bzw. wenden zusätzlich eigene Portale und Artikelpässe an.

Faktoren, die die Nutzung des GS1-Portals begünstigen, sind beispielsweise: 

  • Netzwerkeffekte durch die LMIV bzw. sonstige gesetzliche Vorgaben oder Auflagen im Großhandel.

  • die abnehmende Zahl an Sachbearbeitern zur Stammdateneingabe im Handel.

  • die Nutzung von Online-Shops oder Kunden-Apps für Herkunftsnachweise.

  • der individuelle Anspruch von Lieferanten, sich am Markt durch Herkunft bzw. Regionalität zu positionieren und dies auch nachzuweisen.

Weitere für den Datenfluss relevante Themen:
  • EU-Lieferkettengesetz 

  • Verpackungsverordnung

  • Tierwohl, Haltungsform

  • Nachhaltigkeit, CO2-Footprint, Mikroplastik

  • Bio

  • Gentechnik-frei, vegan, Fair Trade, Palmöl-frei

  • Nutri-Score, gluten-/lactosefrei, Koscher/Halal

  • Herkunftsangaben bei freier Gastronomie: Wird von einigen Unternehmen (v.a. im Großhandel) in Zukunft erwartet bzw. erwünscht.

Downloads & Zusatzinfos

Downloads & Zusatzinfos

Studie Rückverfolgbarkeit, Herkunft, Regionalität im Handel

Qualitative Studie zur datenbasierten Rückverfolgbarkeit, Herkunftsangaben und Regionalitätsnachweis von Sortimenten im österreichischen Lebensmittehandel

Übersicht: B2B-Studie Rückverfolgbarkeit

10-Seiter über die Strategien des Handels bezüglich Herkunft, Regionalität und Rückverfolgbarkeit

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