Wussten Sie, dass eine Gurke erst seit 2009 so krumm sein darf, wie sie will? Bis dahin gab es nämlich eine Gurkenkrümmungsnorm, die festlegte, dass bei einer Gurke mit zehn Zentimetern Länge eine Krümmung von maximal zehn Millimetern erlaubt ist. Dieses Beispiel wird gerne jährlich am 14. Oktober, dem „Weltnormentag“, zitiert, bezieht sich aber eher auf die Regulierungswut der EU als auf die wahre Bedeutung von Standards. Diese wird einem nämlich erst bewusst, wenn man einmal genauer betrachtet, wie und wo uns Standards im Alltag begleiten, und zwar vom Aufstehen (DIN 8325-2 für Wecker und Großuhren) bis zum Schlafengehen (DIN EN 1161 für Federn und Daunen – Bestimmung des Feuchtegehalts).
Gemeinsame Sprache für Systeme
Standards und Normen sind in unserem Leben allgegenwärtig und eine ihrer größten Stärken ist, dass man sie im Idealfall gar nicht bemerkt. Am einfachsten wird ihre Bedeutung dort verständlich, wo es sie nicht gibt, beispielsweise bei internationalen Schuhgrößen (siehe Kasten) oder Steckdosen. Laut ISO 2017 ist ein Standard ein Dokument, das Anforderungen, Spezifikationen, Richtlinien oder Merkmale bietet und bei konsequenter Nutzung sicherstellt, dass Materialien, Produkte, Prozesse und Dienstleistungen für ihren Zweck geeignet sind und genutzt werden. Vereinfacht dargestellt sind Standards eine „gemeinsame Sprache“ und sorgen dafür, dass unterschiedliche Systeme einander „verstehen“ und verlässlich bzw. effizient zusammenwirken. Durch die Anwendung und Entwicklung von Standards erhöht sich die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und der Zugang zu neuen, internationalen Märkten wird gefördert. Standards stehen für Qualität und geben aufgrund ihrer langfristigen Gültigkeit Investitionssicherheit und Vertrauen, was die Rahmenbedingungen für Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt stärkt und verbessert.
Wo der Schuh drückt …
Die Bedeutung der Standards lässt sich dort am besten erkennen, wo es keine gibt. Beispielsweise bei den internationalen Schuhgrößen: Die Damenschuhgröße 7 in New York ist Größe 38 in Shanghai, Größe 4,5 in London, Größe 37,5 in Paris, Größe 23 in Tokio und Größe 5,5 in Sydney. Ein Vergleich ist mühsam und lästig für einen international Reisenden und erst recht für Hersteller oder Großhändler. Da es keine globalen Standards für Schuhgrößen gibt, müssen die Hersteller die gleichen Schuhe für verschiedene Länder unterschiedlich kennzeichnen. Und sie müssen die jeweils richtige, länderspezifische Größenbezeichnung auf allen Kaufaufträgen, Rechnungen und Lieferscheinen verwenden. Da die Beachtung all dieser unterschiedlichen regionalen Eigenheiten einen erhöhten Zeitaufwand bedeutet, folgt daraus auch eine erhöhte Kostenbelastung. Kosten, mit denen die Hersteller die Konsumenten schlussendlich in der Form von höheren Schuhpreisen belasten müssen. Schuhe sind nur ein einfaches Beispiel. Für Unternehmen, die eine Vielzahl von Produkten aus unterschiedlichen Komponenten und auch noch länderübergreifend herstellen, wären nichtstandardisierte Geschäftsabläufe nahezu undenkbar.
Digitalisierung braucht Standards
Auch der Erfolg der digitalen Transformation hängt entscheidend von der Verfügbarkeit globaler Standards ab, denn der Kernbaustein der Digitalisierung ist die Vernetzung: Menschen, Maschinen, Prozesse und Systeme werden digital verbunden und kommunizieren über zahlreiche Schnittstellen miteinander. Mit Entwicklungen wie der Industrie 4.0 steigen die Interaktionspotenziale und damit die Notwendigkeit von möglichst einheitlichen, zugänglichen und interoperablen Standards. Die Ergebnisse des IW-Zukunftspanels 2016 des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln verdeutlichen, dass Standardisierung für die digitale Transformation unerlässlich ist. Unternehmen erkennen zwar mehrheitlich die Wichtigkeit von Standards für die Digitalisierung der Wertschöpfungsketten, setzen aber vor allem dann Standards ein, wenn ihre Strategie auf die digitale Transformation ausgerichtet ist. Eher wenig digitalorientierte Unternehmen nutzen demnach auch weniger Standards, was sich jedoch oft auf ein unklares Kosten-Nutzen-Verhältnis sowie auf mangelnden Standardeinsatz bei Kunden und Lieferanten zurückführen lässt. Obwohl Standards für die Digitalisierung unerlässlich sind, führen Unternehmen sie erst dann ein, wenn diese bereits in einem fortgeschrittenen Stadium der Digitalisierung sind. Die Ergebnisse des Zukunftspanels zeigen damit deutlich, dass eine mangelnde Standardisierung die Digitalisierung hemmt.
Standards haben keine Grenzen
Der Einsatz von Standards in der Digitalisierung zeigt auf, dass Standards mittlerweile weit über den bloßen Einsatz als Normierungen in Industrie und Konsumgüterhandel reichen. Standards sind nämlich nicht nur länderübergreifend, sondern immer mehr auch branchenübergreifend. So gewinnen Standards z. B. im Gesundheitswesen immer mehr an Bedeutung, da eine einheitliche Kennzeichnung von medizinischen Produkten und Arzneimitteln in hohem Ausmaß zur Sicherheit der Patienten beiträgt. Auch im Bereich eGovernment werden mittlerweile nur noch Lösungen auf Basis von international anerkannten Standards entwickelt. So erfordert beispielsweise die österreichische eGovernment-Strategie die aktive Erarbeitung behördenübergreifend standardisierter Schnittstellen und bundesweit gültiger Spezifikationen in der Kooperation zwischen Bund, Ländern, Städten und Gemeinden. Eine eindeutige Produktidentifikation zum weltweiten Datenaustausch wird auch im derzeit boomenden Onlinehandel immer stärker zur Grundvoraussetzung. Dabei setzen immer mehr Onlineriesen wie Alibaba, amazon oder Google auf Standards wie etwa eine einheitliche Produktkennzeichnung mittels GTIN (Globale Trade Item Number), die globale Artikelnummer von GS1.
Standard für grenzüberschreitende Paketlieferungen
Ein wichtiger Schritt in der Standardisierung wurde in Europa erst vor Kurzem mit der eindeutigen Identifikation länderüberschreitender Paketzustellungen gesetzt: Das Europäische Komitee für Normung (CEN) hat sich dabei für die ausschließliche Verwendung des GS1 Serial Shipping Container Code (SSCC) entschieden. Dank der Verwendung globaler offener Standards für das neue CEN-Paketetikett werden vormals geschlossene Liefernetzwerke durchgängig gemacht sowie Kosten und Aufwand reduziert. Der GS1 SSCC ist die logische Konsequenz, da viele Unternehmen diesen Identifikationsschlüssel sowie weitere GS1 Standards bereits in ihren Geschäftsprozessen einsetzen. „Das CEN-Paketetikett und der SSCC eröffnen neue Möglichkeiten für Onlinehändler, die ihren Konsumenten eine individuelle Zustellung zu geringeren Preisen bieten wollen“, so Miguel Lopera, Präsident und CEO von GS1. „Der Entscheid des CEN ist wegweisend und aus meiner Sicht ein wichtiger Schritt zur zukünftigen Optimierung der letzten Meile“, ergänzt GS1 Austria Geschäftsführer Gregor Herzog.
Nutzen und Vorteile des GS1 Systems
Die GTIN sowie der allgegenwärtige „Strichcode“ sind Teil des GS1 Systems, eines einwandfrei und gut etablierten Systems von Standards für die globale Wertschöpfungskette. GS1 entwickelt seine globalen Standards gemeinsam mit seinen Partnern und Experten aus der Branche, die diese Standards auch in der Praxis einsetzen. Die Anwender der GS1 Standards treiben den Wandel der Prozesse voran. Die GS1 Entwicklungsteams helfen dabei durch eine entsprechende Dokumentation bei der Verbesserung der Standards. Dieser GSMP (Global Standards Management Process) ermöglicht eine konsensorientierte Ent¬wicklung und Einführung neuer Standards – auch eine Anpassung an neue Gegebenheiten oder gesetzliche Anforderungen wird dadurch ermöglicht. Mit der Gründung von EAN-Austria im Jahr 1977 wurde der Grundstein für GS1 in Österreich gelegt. GS1 Austria hat seither hierzulande – basierend auf einem weltweit eindeutigen Identifikationssystem – zur Optimierung unzähliger Geschäftsprozesse und damit auch zum Bewusstsein der Bedeutung von Standards beigetragen.
Gastkommentar
Um mitreden zu können, braucht es Partnerschaften
Elisabeth Stampfl-Blaha, Managing Director Austrian Standards
Stellen wir uns Folgendes einmal vor: Jeder Hersteller, jeder Zulieferer kennzeichnet beispielsweise seine Produkte nach seinem eigenen System. Lieferketten und Warenaustausch, wie wir sie heute kennen, wären schlicht unmöglich, Aufwand, Zeitverlust und Kosten unbeschreiblich. Eine weltweit vernetzte Wirtschaft braucht heute mehr denn je gemeinsame Lösungen, braucht freiwillig vereinbarte Übereinkommen – Standards –, um gemeinsam erfolgreich zu sein. Automatisierung und Digitalisierung, Internet of Things und Industrie 4.0 mit ihren zahllosen Schnittstellen und Innovationen sind ohne Standards nicht denkbar. Damit Österreichs Unternehmen mitreden können, wenn diese Standards international entwickelt werden, stellt Austrian Standards seine internationalen Netzwerke, seine jahrzehntelangen Partnerschaften und Erfahrungen bereit und hilft bei der Entwicklung innovativer Lösungen.
www.austrian-standards.at