Mitte November fiel der Beschluss der EU-Kommission, den Geltungsbeginn der EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) um ein Jahr, somit auf 30. Dezember 2025 zu verschieben.
EU-Entwaldungsverordnung (EUDR) im Überblick
Die EU-Entwaldungsverordnung − auch EU Deforestation Regulation, kurz EUDR − soll dem Waldabbau zugunsten landwirtschaftlicher Flächen Einhalt gebieten.
Denn bis zu 90 % der globalen Entwaldung gehen laut der Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) auf Rodungen für die Landwirtschaft zurück. Angetrieben werden diese vor allem durch die Nachfrage nach Palmöl, Soja und Kakao auch in Europa. Neben dem Inverkehrbringen, der Bereitstellung und der Ausfuhr dieser und weiterer Rohstoffe gelten die Vorschriften auch für daraus hergestellte Erzeugnisse.
EUDR-Zeitplan
Die Verordnung Nr. 2023/115 ist am 29. Juni 2023 in Kraft getreten. Der Geltungsbeginn wurde Mitte November seitens der EU-Kommission von 30. Dezember 2024 auf 30. Dezember 2025 verschoben (für Kleinst- und Kleinunternehmen auf 30. Juni 2026).
Welche Produkte sind von der EUDR betroffen?
Die Verordnung betrifft das Inverkehrbringen, die Bereitstellung auf dem EU-Markt und die Ausfuhr der Rohstoffe Rinder, Kakao, Kaffee, Ölpalmen, Soja, Holz, Kautschuk und Holzkohle, aber auch daraus hergestellte Erzeugnisse wie z. B. Reifen, Gummiringerl, Schokolade, Leder oder sämtliche Papierwaren.
Im Anhang I der Verordnung sind die relevanten Rohstoffe sowie daraus hergestellte Erzeugnisse genau aufgezählt. Diese dürfen nur dann in Verkehr gebracht werden, wenn sie nicht mit Entwaldung und Waldschädigung in Verbindung stehen. Entwaldungsfrei sind Flächen nur dann, wenn seit dem 31. Dezember 2020 keine Umwandlung des Waldes zum Zwecke der landwirtschaftlichen Nutzung erfolgt ist.
Regulatorien rund um die Kreislaufwirtschaft
Ausgehend vom European Green Deal wurden neben der EUDR zahlreiche neue Regulatorien entwickelt, wie die Ökodesign-Verordnung (ESPR), die EU-Verpackungsverordnung (PPWR) uvm.
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Expertinnen-Interview: EUDR in der Praxis
„Wir brauchen ein gemeinsames Verständnis.", sagt Daniela Andratsch, EUDR-Expertin in der Abteilung für Umwelt- und Energiepolitik der Wirtschaftskammer Österreich, im Interview mit der GS1 info.
GS1 info: Warum ist die Verschiebung der EUDR aus Ihrer Sicht unbedingt notwendig gewesen?
Daniela Andratsch: Der ursprünglich geplante Geltungsbeginn Anfang Jänner hätte zum absoluten Chaos in den Lieferketten geführt. Zum einen, weil das EU-Informationssystem nicht voll funktionsfähig ist für die Menge der hochzuladenden Sorgfaltspflichten, zum anderen, weil die Unternehmen – vor allem kleine und mittlere – nicht ausreichend geschult sind, wie sie damit umgehen sollen.
Die Verschiebung der EUDR war ein dringend notwendiger Schritt. In der derzeitigen Form enthält die Verordnung noch zu viele Unklarheiten, die es zu beseitigen gilt.
Daniela Andratsch, EUDR-Expertin, Wirtschaftskammer Österreich
Wie wirkt sich die EUDR in Österreich aus?
Österreich wird aufgrund seines Waldzuwachses in der EUDR höchstwahrscheinlich als Niedrigrisikoland eingestuft, was aber dennoch das Inverkehrbringen von heimischem Holz, Soja und Rind erschweren wird. Auch behördliche Kontrollen in den Unternehmen und der damit einhergehende Aufwand werden zunehmen.
Da seitens der EU immer noch wichtige Informationen wie z. B. zum Benchmarking fehlen, schrumpft diese einjährige Frist für Unternehmen damit unter Umständen erst wieder auf knapp ein halbes Jahr.
Wo sehen Sie hierzulande den größten Aufholbedarf rund um die Umsetzung der EUDR?
Es gibt praktisch kein Schulungsangebot für betroffene Unternehmen, wie sie mit diesen komplexen neuen Anforderungen umgehen können – weder seitens der EU noch seitens der nationalen Behörden. Die Verschiebung bietet nun eine Chance, hier entsprechende leicht zugängliche Angebote zu schaffen.
Mit welchen besonderen Herausforderungen haben betroffene Unternehmen künftig zu rechnen?
Es handelt sich hier nicht um ein reines Rückverfolgbarkeitssystem, sondern es kommt zu einer mehrfachen Duplizierung der Sorgfaltspflichten. Bisher musste nur der Erstimporteur darauf schauen, dass das Produkt mit den Regeln des Binnenmarktes konform ist.
Im Zuge der EUDR muss künftig jeder Teilnehmer entlang der Lieferkette nochmalige Sorgfaltspflichten ausüben.
Daniela Andratsch, EUDR-Expertin, Wirtschaftskammer Österreich
Was empfehlen Sie Unternehmen zum jetzigen Zeitpunkt?
- Ich empfehle die Überprüfung des Warensortiments nach betroffenen Produkten und diese mit dem Anhang I der Verordnung zu vergleichen.
- Der nächste Schritt wäre dann die Kontaktaufnahme mit den Vorlieferanten zu den jeweiligen Sorgfaltspflichten.
- Darüber hinaus rate ich, sich rechtzeitig mit dem EU-Informationssystem vertraut zu machen.
Welche Anlaufstellen für Fragen zur EUDR gibt es in Österreich?
Die Wirtschaftskammer Österreich mit ihren Fachorganisationen und Landeskammern, das Bundesamt für Wald und das Landwirtschaftsministerium.
Tipp
Die Wirtschaftskammer Österreich stellt online aktuelle Informationen zur EU-Entwaldungsverordnung zur Verfügung.
Welche langfristigen Auswirkungen erwarten Sie durch die EUDR auf die österreichische Wirtschaft?
Durch die zunehmende Bürokratie und die damit entstehenden Kosten wird es zu einer weiteren Verschlechterung der Wettbewerbssituation und damit auch bei vielen Produkten zu massiven Verteuerungen kommen. In Zeiten einer wirtschaftlichen Rezession aus meiner Sicht ein absoluter Wahnsinn!
Was können aus Ihrer Sicht (GS1) Standards für die Umsetzung der EUDR beitragen?
Sehr viel! Die Datenmenge, die hier von jeder Stufe auf die nächste weitergegeben werden muss, ist so enorm, dass man das sicher nicht mit irgendwelchen Excel-Dateien abwickeln kann. Standards können hier zu einem gemeinsamen Verständnis beitragen, um die Auslegung und den Vollzug der EUDR für unser Land mit unseren Strukturen möglichst einfach zu machen.
GS1 Standards zur Erfüllung der EUDR
Was jedoch trotz Verschiebung mit Sicherheit bleibt, sind die aufgrund der EUDR zu erfüllenden Sorgfaltspflichten für über 100.000 betroffene Unternehmen in Österreich, die vor allem eines erfordern: das Sammeln und Übermitteln von Informationen zu Produkten. Wer mit GS1 Standards bereits vertraut ist, kann hier leicht eins und eins zusammenzählen.
Das GS1 System bietet die idealen Voraussetzungen, um rund um die Anforderungen der EUDR die Brücke vom physischen Produkt zu den zugehörigen Informationen zu bilden.
Gregor Herzog, Geschäftsführer GS1 Austria
Um das GS1 System für die Erfüllung der EUDR-Sorgfaltspflichten zu nutzen, muss laut Herzog „das Rad nicht neu erfunden werden. Das lineare System muss, wie künftig auch in vielen anderen Bereichen, nur etwas mehr im Kreis gebogen werden.“
So bekommt die bereits vorhandene GTIN aus dem Basisservice GS1 Connect im Zuge der EUDR eine zusätzliche Funktion zur Informationsvermittlung zwischen wirtschaftlichen Akteuren, Zwischenhändlern oder im Upstream.
Weitere wichtige Funktionen könnten künftig auch von den bestehenden GS1 Services übernommen werden, wie z. B. über das Stammdatenservice GS1 Sync, das zu diesem Zweck mit neuen Attributen angereichert wurde und wird.
GS1 EDI wiederum bietet beispielsweise die Möglichkeit, die für die Sorgfaltspflichterklärung notwendige Referenznummer im elektronischen Lieferschein (DESADV) zu integrieren und somit chargengenau zu übermitteln.
Besteht die Notwendigkeit, die gesamte Wertschöpfungskette abzubilden, wie etwa bei Rindfleisch, erweist sich das Rückverfolgbarkeitsservice GS1 Trace als ideales Tool.
Herausforderungen bei der Umsetzung der EUDR
Auch wenn die Werkzeuge seitens GS1 nahezu auf dem Silbertablett serviert werden, gibt es noch einige Herausforderungen in der praktischen Umsetzung zu meistern.
Die Werkzeuge seitens GS1 werden nahezu auf dem Silbertablett serviert. Es fehlt nur noch eine gemeinsame Branchenlösung.
Bernhard Voit, ECR Austria Manager
Dieser Aufgabe hat sich ECR als neutrale Plattform der Konsumgüterbranche verschrieben und hat dafür bereits die ersten Schritte gesetzt:
Nach der Durchführung erster Informationsveranstaltungen ist derzeit auch eine eigene „Arbeitsgruppe EUDR“ in Planung. In den bereits bestehenden ECR Arbeitsgruppen „Stammdaten“ sowie „EDI-Profile“ werden künftig ebenfalls EUDR-Schwerpunkte gesetzt.
„Unser Ziel ist es, eine gemeinsame Guideline für eine praxisnahe Umsetzung der EUDR-Sorgfaltspflichten zu erarbeiten“, erklärt Voit.